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BGH kontert EuGH: Können Banken aufatmen oder droht die nächste Widerrufswelle?

04.05.2020, Germany, Frankfurt

Müssen Kreditinstitute sich auf die nächste Widerrufswelle einstellen? Können Verträge trotz Verwendung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Musters widerrufen werden? Sind Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge (z.B. KfZ-Darlehen) und Finanzierungsleasingverträge ebenfalls betroffen und was gilt es für Banken zu beachten?

BGH und EuGH haben sich nun zu diesen interessanten Fragen aus dem Bankrecht in zwei Entscheidungen geäußert.

1. Entscheidung des EuGH vom 26. März 2020 – C-66/19

Es wurde bereits als Sensationsurteil betitelt. Der EuGH hat nach Vorlage des LG Saarbrücken (EuGH-Vorlage vom 17. Januar 2019, Az. 1 O 164/18) mit Urteil vom 26. März 2020 entschieden, dass sich aus Verbraucherkreditverträgen auch die Berechnung der Widerrufsfrist gemäß Richtlinie 2008/48/EG „klar" und „prägnant" ergeben muss (EuGH, Urteil vom 26.03.2020 – C-66/19). Der Verweis in einer Widerrufsbelehrung auf § 492 Abs. 2 BGB, welcher selbst wiederum auf weitere Rechtsvorschriften (Art. 247 §§ 6 – 13 EGBGB) verweist (sog. Kaskadenverweis), stehe laut Europäischem Gerichtshof im Widerspruch zu Art. 10 Abs. 2 p) der Richtlinie 2008/48/EG. Letztlich könne ein Verbraucher daher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthalte und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen habe (EuGH, Urteil vom 26.03.2020 – C-66/19).

Damit steht die Entscheidung des EuGH zum einen im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2016, wonach insbesondere auch die Verweisung auf § 492 Abs. 2 BGB a.F. „klar und verständlich" sei (grundlegend BGH, Urteil vom 22. November 2016 - XI ZR 434/15 – auch zu einem Immobiliendarlehen). Zum anderen stellt der EuGH in seinem Urteil eine Voraussetzung auf, die alle in Deutschland ab dem 11. Juni 2010 geschlossen Verbraucherverträge nicht erfüllen dürften, denn sämtliche EGBGB-Muster verweisen auf § 492 Abs. 2 BGB. Der vom EuGH bemängelte Kaskadenverweis findet sich also in den Mustertexten, die der deutsche Gesetzgeber den Kreditinstituten für Verbraucherkredite ab Juni 2010 an die Hand gegeben hat und welche bei ordnungsgemäßer Verwendung gemäß Art. 247 § 6 Absatz 2 EGBGB zu einer Gesetzlichkeitsfiktion geführt haben. Bei der Verwendung des Musters ohne inhaltlich sachliche Änderungen war und ist die Belehrung demnach laut BGH nicht fehlerhaft gewesen.

2. Hintergrund: Immobiliendarlehen eines Verbrauchers

Hintergrund des EuGH Urteils ist ein anhängiger Rechtsstreit vor dem LG Saarbrücken (Az. C-66/19). Ein Verbraucher hatte 2012 ein Immobiliendarlehen bei der Kreissparkasse Saarlouis über 100.000 Euro mit einem bis ins Jahr 2021 gebundenen Sollzinssatz aufgenommen. Über den erfolgten Widerruf im Jahr 2016 hat das LG Saarbrücken zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass die Angelegenheit erst entscheidungsreif sei, wenn der EuGH die Vorlage-Fragen zur Auslegung der Richtlinie beantwortet (EuGH-Vorlage vom 17. Januar 2019, Az. 1 O 164/18). Die entscheidende Frage war dabei, ob eine Widerrufsinformation „klar" und „prägnant" sei, wenn sie hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist die für den Fristanlauf zu erteilenden Pflichtangaben nicht selbst vollständig benennt, sondern diesbezüglich auf eine nationalgesetzliche Vorschrift verweist, die ihrerseits auf weitere nationale Vorschriften weiterverweist und der Verbraucher daher gehalten ist, zahlreiche Gesetzesvorschriften in verschiedenen Gesetzeswerken zu lesen, um Klarheit darüber erhalten, welche Pflichtangaben erteilt sein müssen, damit die Widerrufsfrist bei seinem Darlehensvertrag anläuft. Der EuGH entschied nunmehr etwas überraschend, dass ein solcher Kaskadenverweis gerade nicht den Vorgaben der Richtlinie entspreche.

3. BGH-Beschluss vom 31. März 2020 – XI ZR 581/18

Der „Paukenschlag" vom EuGH wurde nur 5 Tage später gekontert. Der BGH erteilte dem EuGH mit Beschluss vom 31. März 2020 eine deutliche Absage. Dabei verwies der BGH auf seine bestehende Rechtsprechung aus dem Jahr 2016 und betonte, dass der Verweis in der Widerrufsinformation auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich sei (BGH-Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 581/18 unter Verweis auf die Senatsurteile vom 22. November 2016 - XI ZR 434/15 und vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, Senatsbeschluss vom 19. März 2019 - XI ZR 44/18).

Der Bundesgerichtshof hob hervor, dass die Entscheidung des EuGH für den vorliegenden Fall nicht einschlägig sei, da es hier um einen grundpfandrechtlich besicherten Immobiliardarlehensvertrag gehe, auf den die Verbraucherkreditrichtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und c gerade keine Anwendung finde. Dies sah der EuGH anders. Wie nationale Vorschriften auszulegen seien, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig sei, fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte, so der BGH. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Landgerichts Saarbrücken habe der deutsche Gesetzgeber die Verbraucherkreditrichtlinie nicht für Immobiliardarlehen als maßgeblich erachtet, so der BGH weiter. Das deutsche Recht habe auch schon vor der Verabschiedung der Verbraucherkreditrichtlinie eine Regelung für solche Verträge vorgesehen. Da diese Regelung als richtlinienkompatibel angesehen worden ist, habe der deutsche Gesetzgeber es lediglich für sachgerecht gehalten, die Vorschriften für den Verbraucherkredit und für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen zusammenzufassen (BGH-Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 581/18).

4. Bankrechtliche Konsequenzen der Urteile

Die deutschen Gerichte sind grundsätzlich gehalten, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden zu einer unionsrechtskonformen Auslegung der deutschen Vorschriften zu gelangen (EuGH, Urteil v. 8.5.2019, C-566/17). Eine bereits gefestigte anderslautende nationale Rechtsprechung ist gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Unionsrechts abzuändern. Das Unionsrecht genießt nach der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte prinzipiell Vorrang vor dem nationalen Recht. Dies bedeutet, dass eine Vorschrift des nationalen Rechts, die im Widerspruch zu europäischen Vorschriften steht, von nationalen Behörden und Gerichten zunächst durch eine unionsrechtskonforme Auslegung in Einklang mit letzterer gebracht werden muss. Ist dies nicht möglich, darf die nationale Norm im konkreten Fall nicht angewendet werden, sog. Anwendungsvorrang des Unionsrechts (Amtsblatt der Europäischen Union, C 115 vom 09.05.2008, S. 344).

Das Landgericht Saarbrücken muss nun eine Entscheidung treffen. Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des LG Saarbrücken nicht rechtskräftig wird, sondern das Verfahren so oder so bis zum BGH weitergehen wird. Es spricht vieles dafür, dass der BGH dann erneut seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2016 bestätigen wird. Sollte der BGH im möglichen Revisionsverfahren zur Entscheidung des LG Saarbrücken seine Meinung - wider Erwarten - ändern, ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch Verbraucherdarlehensverträge im Nicht-Immobilienbereich davon betroffen sind, da die Richtlinie 2008/48/EG und das EuGH-Urteil sich allgemein auf „Verbraucherkreditverträge" beziehen.

Unabhängig davon bleibt offen, ob der BGH bei anderen Verbraucherdarlehensverträgen zu der Annahme kommen wird, dass die EuGH Entscheidung einschlägig sei und die Auslegung nationaler Vorschriften in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Schließlich sind auch die ersten Reaktionen der Oberlandesgerichte auf das Urteil des EuGH laut Pressemitteilungen unterschiedlich. Das Oberlandesgericht Rostock folgt wohl der Sichtweise des EuGH (Az. 1b 1U 1/19). Das OLG Düsseldorf (Az. I 6 U160/19) sieht dagegen die Banken durch den Text der Musterwiderrufsinformation geschützt. Noch nicht eindeutig festgelegt hat sich anscheinend das OLG Dresden (Az. 8 U 63/20), das Zweifel äußert, ob die Bank sich nach dem EuGH-Urteil tatsächlich noch auf den Musterschutz berufen darf. Die Entscheidungen sind noch nicht veröffentlicht.

5. Was bedeutet das EuGH-Urteil für Banken

Es muss zunächst der Fortgang des Verfahrens vor dem LG Saarbrücken abgewartet werden. Gegen weitere Widerrufe dürften sich Banken mit sehr guten Argumenten wehren können, denn eine verwendete Muster-Widerrufsbelehrung genießt erst einmal weiterhin die Gesetzlichkeitsfiktion. Ferner gilt die Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2016, welche nunmehr deutlich mit Beschluss des BGH bestätigt worden ist. Hierauf können sich Banken stützen und die Argumente des BGH aus dem Beschluss übernehmen. Überdies ist stets der konkrete Einzelfall zu betrachten. Es könnte beispielsweise für Immobilien-Verbraucherdarlehensverträge auch die gesetzliche Höchstgrenze der Widerrufsfrist von einem Jahr und 14 Tagen greifen, jedenfalls für Verträge ab dem 21. März 2016. Zudem kann je Sachverhalt auch der Einwand der Verwirkung oder unzulässigen Rechtsausübung von Relevanz sein. Bei neu abzuschließenden Verbraucherdarlehensverträgen sollten Kreditinstitute weiterhin das gesetzlich vorgegebene Muster unverändert verwenden. Dabei können Banken überdenken, den Verbrauchern eine gesonderte Liste der Pflichtangaben oder jedenfalls die maßgebenden Vorschriften als Anlage zum Kreditvertrag zu übermitteln, um auch dem EuGH gerecht zu werden.

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