Schalast | News

Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet

15.09.2022, News

Am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht festgehalten, dass Arbeitgeber bereits nach den aktuellen Regeln des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Der 1. Senat unter Vorsitz von BAG-Präsidentin Inken Gallner hatte im Rahmen eines Beschlussverfahrens zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Frage zu entscheiden, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. Dies verneinte das Gericht mit der Begründung, Arbeitgeber seien bereits nach der aktuellen Gesetzeslage verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Entsprechend könne dem Betriebsrat kein hierauf gerichtetes Initiativrecht zustehen.

Die Pflicht zur Einführung eines solchen Zeiterfassungssystems leitet das BAG aus einer europarechtkonformen Auslegung von § 3 ArbSchG ab. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber „verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen.“ Weiter heißt es: „Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen […] hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.“

Diese Vorschrift legt das Bundesarbeitsgericht nun unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben so aus, dass hieraus die Pflicht zu Schaffung eines Zeiterfassungssystems folgt. Hintergrund ist das so genannte "Stechuhr-Urteil" des EuGH vom 14.5.2019 (C-55/18). Nach dieser Entscheidung verlangt das europäische Arbeitszeitrecht die Schaffung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ der Arbeitszeiterfassung. Bislang war diese Entscheidung allerdings überwiegend so verstanden worden, dass der Gesetzgeber eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung erst noch schaffen müsse.

Das Bundesarbeitsgericht hat diese gesetzliche Pflicht nun im schon bestehenden Gesetzesrecht "gefunden". Schon heute ist danach jeder Arbeitgeber verpflichtet, ein solches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen.

Da die Regeln des Arbeitsschutzgesetzes für alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe oder dem Vorhandensein eines Betriebsrats, gelten, betrifft diese Pflicht zunächst jeden Arbeitgeber. Inwieweit sich aus der Formulierung des § 3 ArbSchG („Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten“) Einschränkungen ergeben, ist noch unklar. Und auch, wann ein System „objektiv, verlässlich und zugänglich“ ist, wird noch erarbeitet werden müssen.

Jedenfalls bis zum Vorliegen der Entscheidungsgründe sind übereilte Maßnahmen nicht angezeigt. Arbeitgeber sollten sich allerdings zeitnah mit der Frage auseinandersetzen, wie sie sich ein Zeiterfassungssystem vorstellen, was bei der Entwicklung und Einführung eines solchen Systems zu bedenken ist und welche Gremien unter Umständen zu beteiligen sind.

Sprechen Sie uns bei Fragen gerne an.

 

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 - 1 ABR 22/21 -